Eine digitale Bundestagswahl im Jahr 2025

Es ist 2021. Auf den Autobahnen können Auto selbstständig fahren, bremsen, Spurwechsel vornehmen. Aus der Sonnenenergie lässt sich Strom machen und mein Rasen mäht sich dank Roboter selbst.

Wenn ich jedoch an einer Staatswahl teilnehmen möchte, bekomme ich per Post einen Wahlschein, mit welchem ich die Briefwahl beantragen kann. Die Wahlunterlagen kommen dann nochmal per Post und ich falte ein riesiges Blatt Papier aus und muss mit einem Stift zwei Kreuze setzen und stecke dieses Faltblatt danach irgendwie in einen viel zu kleinen Briefumschlag.

Als ich das vor einigen Wochen tat, ist mir durch den Kopf gegangen, dass dieser Ablauf doch eigentlich der absolute Wiederspruch zu den Aussagen der Politiker ist. Wir wollen Klimaneutral werden, drucken und verschicken aber tonnenweise farbig-bedrucktes Papier durch die Gegend?

Im Jahr 2017 wählte noch jeder dritte Wähler, per Briefwahl. Corona-bedingt müssten das dieses Jahr noch mehr sein. Konkret bedeutet dies jedoch auch: Der Staat bzw. die Gemeinde verschickt an jeden Bürger vor der Wahl einen Wahlschein zu und der Briefwähler bekommt danach nochmal Post für die Wahl zugestellt.

Die Massen an Papier, Umschlägen und dem Versand sind immens hoch. Durch den Vorgang werden mehrere Millionen Briefe schlagartig versendet.

Die meisten Parteien wollen nachhaltig und pro-Klima arbeiten und trotzdem ist die Wahl noch analog per Stift und Brief?

Geht das auch anders?

Ja und das zeigen Tests in anderen Ländern und teilweise haben Länder das E-Voting auch schon fest eingeführt. Dieses übernimmt teilweise nicht alle Vorgänge, unterstützt jedoch den Wahlvorgang imens.

Vorreiter im Thema Digitalisierung und Online-Wahlen in Europa ist unumstritten Estland.
Der nördlichste der baltischen Staaten ist weltweit das einzige Land, in dem ein flächendeckendes und über alle Ebenen institutionalisiertes E-Voting-System umgesetzt ist.

Mit E-Voting ist dabei nicht nur der schlichte Einsatz von Wahlcomputern in Wahllokalen gemeint, sondern die elektronische Stimmabgabe mit Privatgeräten über das Internet als optionales, alternatives Angebot zur klassischen „Offline-Stimmabgabe“. Das E-Voting in Estland ist dabei prinzipiell als Early-voting-Möglichkeit konzipiert, das heißt, die Stimmabgabe über das Internet erfolgt bereits in einer mehrtägigen Phase vor dem eigentlichen Wahltag.

Das überraschende an der Tatsache ist dabei jedoch, dass Estland dies seit 2005 tut. Seit über 15 Jahre ist die Wahl über das Internet dort möglich.

Die Authentifizierung dabei läuft über den Personalausweis, welcher wie auch die neuen deutschen Ausweise, mit einem Chip mit einer digitalen Signatur ausgestattet ist. Durch ein Kartenlesegerät oder dem Mobiltelefon (NFC), lassen sich dann die Daten zur Authentifizierung auslesen. Nach dem auslesen muss die Anmeldung nur noch mit einem PIN abgeschlossen werden.

Stimmen die Daten überein, ist ein Zugriff auf die Kandidatenliste möglich. Ein zweiter Code dient als digitale Unterschrift zur Bestätigung der Stimmabgabe. Sodann wird die verschlüsselte Stimme weitergeleitet. Hat man sich „verwählt“ oder ändert später seine Meinung, besteht die Möglichkeit, mehrmals abzustimmen, wobei am Ende nur die zuletzt abgegebene Stimme zählt.

Wenn in Deutschland die falsche oder ungültige Stimme abgegeben wird und versendet, oder in die Wahlurne geschmissen wurde, ist der Vorgang abgeschlossen und Änderungen oder Richtigstellungen sind nicht mehr möglich.

Aber zurück zum Estländischen Verfahren:

Ferner kann im Anschluss an den Online-Wahlprozess auch noch traditionell gewählt werden. In einem solchen Fall ist die „Offline-Stimme“ maßgeblich. Erst wenn der Datenpool final bereinigt ist, wird dieser zur Auszählung entschlüsselt – ohne jedoch eine personenbezogene Rückverfolgung zuzulassen. Der Ablauf wird mehreren Prüfungen unterzogen, sodass eine Manipulation weitgehend ausgeschlossen ist.


Aber Estland sind nicht die einzigen mit den ersten Versuchen und Umsetzungen des E-Voting Systems:

So konnten 2003 Auslandsfranzosen über das Internet einen Rat wählen, der seinerseits 12
Senatoren des Senats wählte und 2012 wurden 11 Mitglieder der Nationalversammlung direkt durch die Auslandsfranzosen über das Internet gewählt.

Norwegen führte 2011 und zuletzt 2013 Versuche zu Internetwahlen nach estnischem Vorbild
durch. 2013 wurde 250 000 Wahlberechtigten die Internetabstimmung ermöglicht. Zusätzlich zur
Internetabstimmung wurden in vielen Kommunen Scanner für die Wahlscheine aufgestellt. 

Die Schweiz führt seit 2000 sowohl auf kommunaler und kantonaler Ebene als auch im Bund Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe per Internet durch.
Elektronisch wählen durfte in diesen Versuchen eine begrenzte, jedoch schrittweise angehobene Anzahl
von Inlands- und Auslandsschweizern. Aktuellstes Beispiel der „vote électronique“ ist die eidgenössische Volksabstimmung vom 9. Februar 2014, bei der zwölf Kantone Versuche mit der Internetabstimmung durchführten.

Bringt die Onlinewahl mehr Wähler?

Aus anderen Ländern mit teilweiser oder vollständiger Implementierung der Onlinewahl, kann man tatsächlich einen Zuwachs an Wählern feststellen.

Während die Wahlbeteiligung 2003 – vor der Einführung des E-Votings – bei knapp über 58 Prozent lag, betrug sie 2007 rund 62 Prozent. Auch der Anteil derjenigen, die am E-Voting teilnehmen, wächst beständig: Bei der estnischen Parlamentswahl 2015 stimmte bereits ein knappes Fünftel der rund 900.000 Wahlberechtigten elektronisch ab. 

Besonders in den nördlichen Ländern ist hier also eine große Akzeptanz des Systems vorhanden.

Dank einer aktuellen Umfrage des YouTubers „Algorithmen verstehen“ zu dem Thema „Online-Wahlen – Ja, Nein, Vielleicht“ wurde seine IT-Affine Community gefragt, ob sie Online wählen gehen würden. Die Ergebnisse haben mich selbst etwas überrascht:

Quelle: https://www.youtube.com/channel/UCswWBF6ZkGnLG3sLRR65xRw/community?lb=Ugz2eBV09IduHUVpfhd4AaABCQ

So haben von mehr als dreitausend Teilnehmern 40% dagegen und 36% dafür entschieden. Der Rest ist sich unsicher und wählte mit „vielleicht“.

Die Kommentare zu der Umfrage erklären dabei jedoch das Ergebnis teilweise:

So schrieb der Nutzer „Simon“:

"Das Internet ist nicht gemacht für Sicherheit und somit auch absolut nicht geeignet für etwas so wichtiges wie Wahlen. Selbstverständlich würden mehr Leute wählen und auch die jetzigen Wahlen können manipuliert werden, aber ich finde, dass diese Vorteile den Aufwand nicht wert sind."

Der Nutzer ShiraDev sieht dabei Gefahren von Bots und Manipulation:

"Online Wahlen, in Form von Statistiken oder so ist okay, aber wenn das etwas Weltbewegendes ist, zum Beispiel Politik sehe ich schon die Bots 🤡"

Auch weitere Kommentare ergaben, dass sich die Nutzer viele Sorgen zum Thema Sicherheit haben. Und viele würde eine theoretische Umsetzung davon interessieren um besser darüber urteilen zu können.

Pro/Contra Onlinewahl?

Pro

  • Abstimmen wird einfacher
  • Auslandswähler werde nicht benachteiligt
  • Erhöhung der Stimmbeteiligung
  • Weniger ungültige Stimmen
  • Computer sind nicht bestechlich
  • Besser für die Umwelt

Contra

  • Wahl- & Stimmgeheimnis nicht gewährleistet
  • Die Gefahr von Manipulation auf Anwendungs- oder Systemebene
  • Keine manuelle Nachzählung möglich

Das Porto wird Jahr-für-Jahr teurer, hingegen die Preise für Hardware immer weiter sinkt. Das hat zum einen etwas mit dem digitalen Fortschritt, als auch mit der Massenware von Hardware zutun. Bei der analogen Variante über die Post, muss ein großer logistischer Aufwand über die Post zum versenden und zurücksenden, als auch das auszählen aufgewendet werden.

So schätze ist, dass die Anschaffung für die Hardware im hohen hunderttausender Bereich oder kleinen Millionen Euro Bereich liegen wird, hingegen das Porto und das anmieten von Wahllokalen bei über 50 Millionen Euro liegen wird. Die Hardwareanschaffungen wären zudem nicht jedes Jahr bzw. nicht unbedingt alle 4 Jahre zur Bundestagswahl.

Der Bund erstattet für Bundestags- und Europawahlen […] notwendigen Ausgaben. Die Kosten für die Versendung der Wahlbenachrichtigungen und der Briefwahlunterlagen sowie die Erfrischungsgelder für die Mitglieder der Wahlvorstände werden […] ersetzt. Die übrigen Kosten werden durch einen festen Betrag je Wahlberechtigten erstattet. Er beträgt für Gemeinden bis zu 100.000 Wahlberechtigten 0,51 Euro und für Gemeinden mit mehr als 100.000 Wahlberechtigten 0,79 Euro.

https://www.bundeswahlleiter.de/service/glossar/w/wahlkostenerstattung.html

Bei der Bundestagswahl 2021 gab es 60,4 Millionen Wahlberechtigte. Zu welchen mind. 1 Brief gesendet wurde.

Nehmen wir also den Durchschnitt der Pauschalkosten, kommen wir auf 0,65ct pro Wähler. Bei 60,4 Millionen Wahlberechtigten, ergibt als also multipliziert: 39.260.000 Millionen Euro, pro Wahl.

Würde Deutschland E-Voting umsetzen können?

Um Verhältnisse wie in Estland schaffen zu können, müssen wir berücksichtigen, dass Estland mit 1,3 Millionen Einwohnern ein recht kleines Land ist und die Bevölkerungsdichte recht gering ist. Daher ist E-Voting dort natürlich sehr praktisch. Durch die geringe Bevölkerungsdichte ist das nächste Wahllokal meist weiter weg, was die Wahl im Lokal recht unattraktiv macht.

Zudem ist Estland erst seit 1991 unabhängig, wodurch das Wahlsystem noch nicht so eingefahren ist, wie in anderen Ländern. Da dies der Anfang der Digitalisierung war, hat man die digitale Wahl eher als Chance, anstatt als Hürde gesehen. Die Neukonstruktion eines freien Wahlsystems ist leichter zu bewerkstelligen als eine Umorganisation fester Strukturen und eingespielter Abläufe. 

Es gab zudem im Prozess der Einführung kaum Konflikte, da auch große Teile der Opposition Vorteile des E-Votings anerkannten – etwa die positive Auswirkung auf die Wahlbeteiligung, was wiederum als Steigerung der Systemlegitimität interpretiert wurde. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass technische oder sicherheitspolitische Bedenken in der estnischen Debatte kaum eine Rolle spielten. Tatsächlich ist es bislang auch nicht zu nennenswerten Problemen gekommen.

Deutsche Befürchtungen

Befürchtungen in Deutschland und anderswo beziehen sich vor allem auf die Nichteinhaltung demokratietheoretischer und verfassungsrechtlicher Anforderungen (Wahlrechtsgrundsätze) und die Manipulation bei der Stimmabgabe und -auszählung. 

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